Ich habe das Buch 4.000 Wochen von Oliver Burkeman gelesen, damit du es nicht lesen musst.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das wird kein Buchtipp, sondern eine Warnung.
Bist du jemand, der positiv durchs Leben geht? Der jede Menge Ziele, Wünsche und Vorstellungen davon hat, was er mit seiner Zeit alles anfangen möchte? Und der das Leben mit all seinen Facetten einfach liebt? Der aus seiner Zeit das Optimum herausholen möchte, um seinen vielen Interessen, Hobbys und Ambitionen nachzugehen?
Dann empfehle ich dir, die Finger von diesem unnötig in die Länge gezogenen Buch zu lassen, das hoffnungslos und deprimierend ist und sich thematisch immer wieder im Kreis dreht, ohne wirklich auf den Punkt zu kommen. Fast schon ironisch bei einem Buch über Zeitmanagement.
4.000 Wochen ist kein Ratgeber mit Tipps für eine bessere Organisation deiner Zeit, sondern eine schleppende philosophische Abhandlung über das moderne Phänomen von Zeitmanagement und Produktivität.
⚠️ Diese Rezension könnte Spuren von Frustration und den ein oder anderen Spoiler enthalten.
Inhalt
Klappentext:
Ein durchschnittliches Menschenleben? Nur 4000 Wochen!
Das Leben ist kurz, aber das ist kein Grund zur Sorge
Die Zeit reicht nicht aus – niemals. Gerade einmal 4000 Wochen haben wir auf der Erde, und das auch nur, wenn wir um die achtzig werden. Kein Wunder, dass wir unaufhörlich versuchen, möglichst viel in diese kurze Zeit hineinzupressen. Dabei verlieren wir genau die Dinge aus dem Blick, die uns wirklich wichtig sind und uns vor allem glücklich machen. Oliver Burkeman führt geistreich und kurzweilig vor, wie wir dem Zeit- und Effizienzdruck widerstehen – und damit der unerhörten Kürze und den schillernden Möglichkeiten unseres Lebens gerecht werden können.
Oliver Burkeman legt hier ein fantastisch geschriebenes und unterhaltsames Buch vor, das die Philosophie von Zeit und Zeitmanagement durchleuchtet, Fallen aufzeigt, in die wir alle schon getappt sind, und die Endlichkeit des menschlichen Lebens zu einem erhebt – einem herrlichen Grund zu feiern!

Quick Facts
Autor | Oliver Burkeman |
Titel | 4000 Wochen – Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement |
Originaltitel | Four Thousand Weeks: Time Management for Mortals |
Seiten | 304 |
Erschienen im | März 2022 |
Verlag | PIPER |
Preis | 22,00 EUR (Hardcover), 21,99 EUR (E-Book) |
Kaufen | Überall dort, wo es Bücher gibt, z. B. beim Buchhändler eures Vertrauens oder online bei Genialokal |
Bewertung | 🐝 |
Worum geht es überhaupt?
4.000 Wochen. So viel Zeit hast du auf der Erde, wenn du 80 Jahre alt wirst. Da ich in einigen Monaten schon 40 werde, habe ich also nur noch 2.000 Wochen übrig. Und das auch nur, wenn ich dieses Alter überhaupt erreiche.
Uff. Das ist ein Reality-Check, den ich echt nicht gebraucht hätte.
Oliver Burkeman hat hier ein Buch geschrieben, das sich liest wie ein endloser Rant über die Sinnlosigkeit des Produktivseins und des Zeitmanagements.
Je produktiver wir versuchen zu sein, heißt es in dem Buch, desto mehr Aufgaben sammeln sich an. Produktivität sei eine Falle, so Burkeman. Sie würde den Eindruck erwecken, dass wir irgendwann, wenn wir alles auf unserer To-do- oder Wunschliste erledigt und abgehakt haben, angekommen sind: uns komplett und optimiert, erfüllt und glücklich fühlen.
Grundsätzlich stimme ich der Idee zu: Wer immer nur optimiert und Verbesserungen vornimmt, wer nur für die Zukunft lebt („Wenn ich x erreicht habe, bin ich endlich glücklich!“), wer immer nur nach mehr und Höherem strebt, vergisst darüber das Leben im Jetzt. Dabei liegt das wahre Glück darin, wertzuschätzen, was wir bereits haben, und die Schönheit jedes einzelnen Moments zu erkennen. Das ist auch meine Lebensphilosophie.
Wahrscheinlich kennst du auch Menschen, die mit Mitte 30 schon Pläne darüber schmieden, was sie als Rentner alles mit ihrer freien Zeit anfangen möchten. Oder solche, die nur busy sind, ohne Zeit für die schönen Dinge des Lebens zu haben – und die dieses Busy-sein wie eine Auszeichnung vor sich hertragen.
Allerdings verfällt Burkeman bei seiner Kritik an Zeitmanagement und Produktivität leider in das andere Extrem und verstrickt sich in einer endlosen Litanei darüber, dass unsere Zeit auf diesem Planeten begrenzt ist. Er schlussfolgert, dass sämtliche Systeme und Strategien für mehr Produktivität und Zeitmanagement sinnlos sind, weil wir eh nicht alles erreichen können, was wir wollen.
Schwierig.
Meiner Meinung nach kommt es auf die richtige Balance an. Priorisiere, was für dich persönlich wichtig ist, und nutze dann entsprechende Systeme (ja, Zeitmanagement und Produktivitätshacks funktionieren nachweislich!), um das Meiste aus deinem Tag herauszuholen.
Früher war Burkeman übrigens einer von „uns“: ein Produktivitäts-Geek und Zeitmanagement-Fan, ständig auf der Suche nach der neuesten Methode, um noch mehr aus seinem Tag herauszuholen. Das hat ihn wohl unheimlich gestresst und unzufrieden gemacht.
Völlig logisch! Wer nie wirklich ankommt, immer nur dem nächsten „Shiny Object“ hinterherjagt und ständig das Gefühl hat, er würde etwas verpassen (die sogenannte „Fear of Missing Out“ oder auch kurz: FOMO), hat natürlich Probleme, echtes inneres Glück zu erleben.
Irgendwie scheint Oliver Burkeman für sich selbst nicht die richtige Methode des Lebens im Jetzt gefunden zu haben. So klingt es zumindest für mich als Leserin.
Anstatt also sein Verhalten des Sich-Ständig-Selbst-Optimierens kritisch zu hinterfragen und entsprechende punktuelle Änderungen vorzunehmen, hat Burkeman zum Rundumschlag ausgeholt und dem Konzept des Zeitmanagements komplett abgeschworen. Daraus ist dann dieses über 300 Seiten lange Werk entstanden, für dessen Kernaussagen meiner Ansicht nach ein Blog-Post ausgereicht hätte.
Es ist fast schon ironisch, dass ich eine meiner 4.000 verfügbaren Wochen mit diesem Buch vergeudet habe. Unter normalen Umständen hätte ich das Buch abgebrochen. Da ich es aber gerne hier rezensieren wollte, habe ich mich durchgequält (es war leider wirklich eine Qual, so viel Negativität und Bissigkeit, verpackt als britischer Humor, stressen mich ungemein). Außerdem hatte ich Seite für Seite die Hoffnung, dass irgendwann noch der Aha-Moment kommt und ich etwas Substanzielles aus dem Buch herausziehen kann. Leider wurde ich enttäuscht.
Oliver Burkeman erklärt uns also, dass unser Leben kurz ist und unsere Zeit niemals ausreicht. Er macht das mit seinen 4.000 Wochen recht anschaulich. Und dann wiederholt er diese Tatsache immer und immer wieder, wodurch eine Aneinanderreihung aus belanglosen Anekdoten und Schwafelei entsteht, immer mal wieder gespickt Zitaten und Erkenntnissen bekannter Philosophen, aber auch irgendwelcher Personen, von denen man noch nie im Leben gehört hat. Von Originalität ist nicht viel zu spüren. Dazu kommt eine unnötig hochgestochene Sprache mit verschachtelten Sätzen – leider nichts für mich. Ich mag eher einen entspannten, lässigen und authentischen Schreibstil.
Burkeman möchte hier wohl im Gewässer der Branche von Selbsthilfe und Persönlichkeitsentwicklung gegen den Strom schwimmen. Dabei erhebt er sich allerdings über andere Autoren und erwähnt sie teilweise sogar namentlich bzw. deren Buchtitel. Durch die süffisanten Spitzen und den selbstgefälligen Tonfall wirkt der ganze Text von oben herab geschrieben und der Autor dadurch leider sehr unsympathisch und verbittert. Wirklich bei sich angekommen klingt er dadurch leider nicht …
Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch und immer auf der Suche nach Inspiration und Motivation – die ich hier leider vergeblich gesucht habe.
Auch, wenn ich mich jetzt wiederhole: Aber ich möchte nicht hören, dass meine Zeit begrenzt ist. Dass mir im Idealfall nur noch 2.000 Sonntage bleiben. Wenn ich so durch das Leben gehe, bewirkt das bei mir nur das Gegenteil von „Nutze den Moment“. In mir baut sich eine Angst und Verzweiflung auf, die mir fast die Luft abschnürt. Die durch das Buch transportierte Melancholie hat sich beim Lesen wie ein Schleier über meinen Gemütszustand gelegt.
Ich konnte mich glücklicherweise selbst wieder aus diesem Tief herausholen und habe schnell erkannt, dass das Buch halt einfach nichts für Menschen wie mich ist. Schade nur um die verlorene Zeit 😉
Wer sollte 4.000 Wochen lesen?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wer damit erreicht werden soll? Vielleicht allseits gestresste Manager-Typen, die nie Zeit für ihre Familie haben? Menschen, die getrieben sind von dem Wunsch, immer schneller höher weiter zu kommen? Oder solche, die genug von Selbsthilfe und -optimierung haben?
Eventuell richtet sich das Buch auch an Menschen, die gerne ambitions- und ziellos in den Tag hinein leben, ihre Freizeit ausschließlich vor der Playstation oder Netflix verbringen und in dem Buch eine Art Bestätigung suchen, dass das völlig okay ist?
Burkeman geht übrigens sogar so weit, dass er behauptet, wir – und das, was wir tun – würden in Anbetracht des Alters des Universum keinen Unterschied machen. Wir wären unbedeutend und würden unsere Existenz maßlos überbewerten.
Eine meiner Ansicht nach entmutigende, ja eigentlich sehr traurige Aussage: Wenn jeder in unserer Menschheitsgeschichte so gedacht hätte, würden wir wohl immer noch in Höhlen leben und hätten keine politischen, gesellschaftlichen oder technologischen Fortschritte erzielt.
Unsere Geschichte ist geprägt von Menschen, die sich gegen die Widrigkeiten ihrer Zeit gestellt haben, die an eine bessere Zukunft geglaubt und für ihre Ideale gekämpft haben. Wir sind nur deshalb da, wo wir jetzt sind, weil unsere Vorfahren Visionen, Ideen, Motivation und eine riesige Portion Hoffnung und Entschlossenheit hatten, ihre Träume zu verwirklichen und etwas zu verändern. Weil sie daran geglaubt haben, dass sie einen Unterschied machen. Oder um Apple-Gründer Steve Jobs zu zitieren: „Wir sind hier, um eine Kerbe im Universum zu hinterlassen.“
Außerdem haben wir selbst wohl jeder unser kleines Universum um uns herum und wir sind vielleicht mit unserem durchschnittlichen Leben nicht überaus bedeutend für das große Ganze oder einen Menschen auf einem anderen Kontinent, der uns überhaupt nicht kennt. Aber das heißt doch nicht, dass unsere Existenz sinnlos ist? „Für die Welt bist du vielleicht nur irgendjemand, aber für irgendjemanden bist du die Welt“ sagt ein kitschiger Poesiealbum-Spruch aus meiner Kindheit.
Denke daran: Für irgendwen bist DU das Universum und hinterlässt eine bedeutende Kerbe in dessen Leben. ♥️
Jeder von uns kann einen positiven Einfluss haben und etwas bewirken, sei es groß oder klein!
Meine größten Kritikpunkte an 4.000 Wochen
Zitate, Zitate und noch mehr Zitate
Der Autor zitiert in seinem Buch in einer Tour aus den Bereichen Religion und Philosophie, Geschichte und Forschung und außerdem Universitätsdozenten und Forscher sowie jede Menge Autoren anderer Bücher.
Das Buch wirkt deshalb wie eine Collage aus den – in Burkemans Augen besten – Ideen zum Thema Zeit und Zeitmanagement. Man hat dadurch leider Schwierigkeiten, dem Ganzen zu folgen: Was ist nun Meinung des Autors?
Strukturlosigkeit
Es fehlt außerdem an einer klar erkennbaren Struktur, was das Lesen zusätzlich zum gestelzten Schreibstil noch erschwert.
Burkeman findet keinen roten Faden und verzettelt sich in Plattitüden.
Das Buch ist im Grunde ein zu lang geratener Essay mit einer Ist-Beschreibung der Situation: Zeitmanagement ist böse, das Leben im Hier und Jetzt ist gut.
Widersprüche
Oliver Burkeman berichtet in einer Passage davon, dass er die Chance hatte, ganz im Norden Kanadas, wo man nur über das zugefrorene Meer hinkommt, die Polarlichter zu sehen. Nach 5 Tagen des Wartens, war es dann endlich so weit, und andere Touristen klopften mitten in der Nacht aufgeregt an seiner Tür: Er solle schnell kommen, man könne nun die Polarlichter sehen. Draußen jedoch war Burkeman ziemlich unbeeindruckt. So sehr er es auch versuchte, er konnte – so schildert er es – sich nicht an dem Anblick erfreuen. Sein Gedanke war: Oh, die sehen ja aus wie mein Bildschirmschoner.
Danach kommt eine Abhandlung darüber, wie schwer es ist, im Jetzt und im aktuellen Moment zu leben.
Also selbst wenn man beispielsweise einmal im Leben die Polarlichter sehen möchte (ein Punkt, den sicher viele Menschen auf ihrer Bucket List haben), lohnt es sich eigentlich nicht? Weil man auch einen Bildschirmschoner angucken könnte? Habe ich das richtig verstanden? Das ist übrigens nicht das einzige Beispiel. Er zitiert auch einen anderen Autoren, der einen bekannten See in den USA besucht hat und sich vor Ort nur dachte: Aha, das ist er also.
Diese beiden Berichte an sich sind schon sehr traurig zu lesen, aber nun kommt auch noch ein Widerspruch im Buch selbst.
Ein paar Seiten weiter folgt nämlich eine begeisterte Abhandlung von Burkeman darüber, wie wichtig es ist, geduldig zu sein und den Dingen ihre Zeit zu geben, um die wahre Schönheit in ihnen zu entdecken. Als Beispiel zieht er eine Harvard-Professorin heran, die eine interessante Strategie hat, das Tempo ihrer Studenten in einer von Smartphones und Digitalisierung geprägten Welt zu drosseln: Sie müssen sich ein Kunstwerk im Museum aussuchen und dieses Kunstwerk dann 3 Stunden lang betrachten. Oliver Burkeman probiert das dann auch selbst aus und kommt zu der Erkenntnis, dass es nicht ausreicht, nur ein paar Sekunden auf ein Kunstwerk zu schauen, um seine wahre Schönheit zu erkennen.
Aber könnte man das nicht auch auf Naturschauspiele beziehen? Anstatt salopp auf einen Bildschirmschoner zu verweisen? Ein Foto wird nie das reale Erlebnis ersetzen können. Eigentlich kann der Autor einem Leid tun, weil er offenbar die Gabe nicht hat, sich an solchen Dingen zu erfreuen.
Politische Statements
Wer sich die Frage stellt, in welchem politischen Spektrum Oliver Burkeman angesiedelt ist, muss nicht lange in diesem Buch lesen, denn es wird ständig erwähnt. Der Autor wird nicht müde, aus seinem privilegierten Leben heraus zu betonen, wie er zu einem gewissen US-amerikanischen Präsident steht, dass wir unseren Planeten vor der Klimakatastrophe bewahren müssen, dass der Kapitalismus uns in seinen Fesseln hat etc.
Das ist alles nichts Neues oder Überraschendes.
Natürlich müssen wir über zweifelhafte politische Figuren sprechen, gesellschaftliche Themen kritisch beleuchten, unsere Erde schützen und das kapitalistische System, wie wir es heute kennen, hinterfragen. Aber doch bitte nicht in einem Buch über Zeitmanagement! Dafür gibt es andere Plattformen und Möglichkeiten, die gewiss auch zielführender sind.
Zweifelhafte Quellen
Interessant ist dann allerdings die Tatsache, dass Burkeman tatsächlich den deutschen Philosophen und überzeugten Antisemiten und Nationalsozialisten Martin Heidegger zitiert. Die politische Haltung Heideggers sei laut Burkeman unfortunate (also in etwa unglücklich), aber jeder müsse für sich selbst entscheiden, ob dieser poor life choice, also in etwa diese Fehlentscheidung im Leben – das sagt er tatsächlich in Bezug auf diese menschenverachtende Gesinnung –, Heideggers Überlegungen darüber, wie wir im Allgemeinen Lebensentscheidungen treffen, hinfällig macht.
Unfortunate finde ICH, dass Heidegger im Buch eine relativ große Bühne bekommt und ganze zehn Mal namentlich erwähnt wird.
Romantisierung der Corona-Lockdowns
Burkeman bezeichnet die weltweiten Corona-Lockdowns als „The Great Pause“ und behauptet dass dieser erzwungene Stillstand uns dazu gebracht hat, uns darüber zu besinnen, was wirklich wichtig ist: zum Beispiel Zeit mit unseren Kindern zu verbringen und die Freude am Backen oder Pflanzen wiederzufinden.
Das zeigt mir, dass Herr Burkeman den Lockdown wahrscheinlich nicht mit Kindern im Schulalter und zwei Vollzeit arbeitenden Erwachsenen im Homeoffice verbracht hat.
Dem Autor zufolge haben die Lockdowns uns gezeigt, dass wir eigentlich mehr füreinander da sein wollen, vor der Covid-Pandemie allerdings einfach keine Zeit war, das zu zeigen. Na zum Glück wurden wir kollektiv in diesen Stillstand gezwungen! 🙄
Er soll seine Lobhudelei auf die Lockdowns mal bitte den Menschen sagen, die ihre Lieben in ihren letzten Stunden nicht verabschieden durften. Der Tochter, die mit dem Wissen leben muss, dass ihre Mutter ganz allein im Heim verstorben ist. Den Großeltern, die die ersten Lebensjahre ihrer Enkel nicht live miterlebt haben. Den Jugendlichen, denen sämtliche Erlebnisse geraubt wurden, die einfach zum Erwachsenwerden dazugehören. Den Kindern, die in bitterlich kalten Schulgebäuden teilweise mit Skikleidung und Decken saßen, weil mitten im Winter nur bei offenem Fenster Präsenzunterricht stattfinden durfte – und noch vielen Menschen mehr, die heute immer noch unter den Folgen leiden.
Isolation und Überforderung: Das sind die Dinge, an die ich mich zurückerinnere. Mit Sicherheit keine Dankbarkeit an diese „schöne“ Zeit.
„Das Virus hat uns zum Besseren verändert“, schreibt Burkeman in Kapitel 9 Die Wiederentdeckung der Ruhe. Hat es das wirklich? Die Gräben zwischen den Menschen sind tiefer geworden, die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander gegangen. Viele Mitmenschen haben das Vertrauen in die Politik, die Medien und unglücklicherweise auch in die Schulmedizin verloren. Freundschaften sind zerbrochen während dieser Zeit. Die Menschen haben sich auseinander entwickelt und die Gesellschaft ist nicht mehr das, was sie vorher war. Der Ton ist rauer geworden und von einem Miteinander sind wir weit entfernt.
Aber hey, wenigstens hatten wir alle endlich mal Zeit, Bananenbrot zu backen und Tiger King auf Netflix zu schauen 🙄
Die körperlichen und psychologischen Folgen der Lockdowns stehen in keinem Verhältnis zu den Vorteilen, die Burkeman uns hier verkaufen möchte. Er folgt einer politischen Agenda, das liest man klar heraus. Und da der Mainstream derzeit kritisch auf Selbsthilfe und Persönlichkeitsentwicklung schaut, kommt er mit dieser Kritik bei der breiten Masse offenbar gut an.
Erst kürzlich erschien beispielsweise im SPIEGEL ein Artikel mit dem Titel „Manifestieren, Mindset und Wünsche an das Universum: Das gefährliche Wunschdenken der Online-Gurus“. Ich kann dazu nur sagen: An dieser Bewegung ist ganz und gar nichts gefährlich 😉. Die Medien möchten uns das nur so verkaufen. Oder um Oliver Burkeman höchstpersönlich zu zitieren „Reporter [sind ein] ein Volk, das notorisch zu negativem Denken neigt“.
Doch warum steht die Selbsthilfebranche gerade so unter Beschuss und warum scheint das Buch 4.000 Wochen einen Nerv bei der breiten Leserschaft zu treffen? Dazu muss man sich anschauen, was passiert, wenn Menschen Ambitionen und Ziele haben; ihren Träumen folgen und auf ihr Bauchgefühl hören; lebensverändernde Pläne machen und diese Pläne dann auch umsetzen. Diese Menschen fangen an, für sich selbst zu denken. Sie erwachen und befreien sich aus gesellschaftlichen Zwängen und Strukturen, und zwar in allen Aspekten.
Natürlich hat Oliver Burkeman Recht damit, wenn er uns sagt, dass wir Prioritäten setzen müssen, weil wir nicht alles machen können, was die große weite Welt uns bietet. Und dass jede Entscheidung für eine Sache immer auch eine Entscheidung gegen eine andere ist. Wie er das Ganze verpackt, ist jedoch alles andere als gelungen.
Ende September erscheint übrigens ein neues Buch von ihm auf Deutsch. Es trägt den Titel Das Glück ist mit den Realisten: Warum positives Denken überbewertet ist. Meine Einschätzung von oben, dass hier bewusst gegen Coaching und die Bewegung des positiven Denkens geschossen werden soll, scheint wohl nicht ganz so weit hergeholt zu sein.
Doch noch ein paar praktische Tipps
Nachdem Oliver Burkeman uns auf 250 Seiten lang und breit erklärt, dass wir nicht alles schaffen werden, was wir uns vorgenommen haben, kommen am Ende dann doch noch zehn Tipps für den Umgang mit der eigenen Endlichkeit. Ich liste sie hier nicht auf, du findest die Tipps alle auf der Seite zum Buch auf Amazon.
Die zehn Ratschläge sind alle nicht sonderlich bahnbrechend oder gar innovativ. Dafür musst du das Buch nicht lesen. Um dir einen kurzen Eindruck zu geben: Du sollst zum Beispiel den Umfang deiner Produktivität festlegen (gemeint ist die Planung fester Arbeitszeiten; dass da vorher noch keiner drauf gekommen ist 😉), eine Sache nach der anderen erledigen oder dich bereits im Voraus darauf einstellen, dass einige Dinge einfach nicht klappen werden. Außerdem sollst du lernen, auch mal nichts zu tun.
Grundsätzlich ist das natürlich nicht falsch. Ob es dafür ein 300 Seiten langes Buch gebraucht hätte, ist allerdings fraglich.
Fazit
4.000 Wochen ist definitiv nicht „Das wichtigste Buch über Zeitmanagement, das je geschrieben wurde“, wie es uns das Zitat von Adam Grant auf der Rückseite weismachen soll.
Wenn du ein Buch über das Leben im Jetzt lesen möchtest, empfehle ich dir übrigens Eckhart Tolle und sein Meisterwerk Jetzt! Die Kraft der Gegenwart.
Wenn du unter dem Druck von Perfektion und Optimierungswahn leidest und du auf dem Papier alles hast, dich aber innerlich leer fühlst: Lies Eckhart Tolle! Das Buch (im englischen Original The Power of Now) ist ein Game Changer für alle, die lernen möchten, inneren Frieden zu finden, ihren Geist zu beruhigen und endlich anzukommen.
Viel Spaß beim Finden der inneren Balance!

Bildquelle Header-Foto: Surangastock
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